Inklusiver Bewegungsunterricht: Alle machen mit
Vielfalt ist in der Schule und gerade im Sportunterricht schon immer eine Realität. Kinder und Jugendlichen bringen ganz unterschiedliche körperliche, kognitive und sozial-emotionale Voraussetzungen mit. Schon bisher war es die Aufgabe von Lehrkräfte, diese Verschiedenheiten im Unterricht zu berücksichtigen und nach den individuellen Fähigkeiten der Schüler:innen zu differenzieren.
„Inklusion beginnt im Kopf“, meint die Sportpädagogin und Sportwissenschafterin Heike Tiemann. Am wichtigsten für gelingendes pädagogisches Handeln im inklusiven (Sport-)Unterricht ist demnach eine grundsätzlich offene und wertschätzende Haltung gegenüber dem „Anders-Sein“ und die Vermeidung von starren Kategorisierungen. Menschen mit Behinderung sind keine homogene Gruppe; je nach Art und Grad der Behinderung und nach dem individuellen Stand der motorische, geistigen und sozial-emotionalen Entwicklung haben Schüler*innen mit Behinderung unterschiedliche Voraussetzungen und Bedürfnisse, auf die die Lehrerin, der Lehrer eingehen muss.
Methoden und Modelle der Differenzierung
Ausgangspunkt einer Differenzierung können die pädagogischen Perspektiven des Sport- und Bewegungsunterrichts sein: Leistung, Miteinander, Körper- bzw. Sinneserfahrungen, Ausdruck, Wagnis und Gesundheit. Aufgabe der Lehrkraft ist es, die Verschiedenheiten aller Schülerinnen und Schüler zu berücksichtigen und im Unterrichtsalltag eine Balance zu finden zwischen Gleichheit und Differenz. Die unterschiedliche Lernsituationen im Sportunterricht machen es möglich, dass sowohl Phasen der Interaktion und Kooperation, des Miteinanders von Kindern mit und ohne Behinderung, als auch Phasen der Koexistenz, also des Nebeneinanders, im Unterricht Platz haben.
Ansatzpunkte für Anpassungen im inklusiven Sportunterricht zeigt z.B. das TREE-Modell* auf. TREE steht für
– Teaching Style: Unterrichtsstil
– Rules: Regeln
– Environment: Lernumwelt
– Equipment: Material
und bezeichnet konkret und eingängig vier Aspekte eines inklusiven Bewegungsunterrichts, die gegebenenfalls verändert werden müssen.
Der Aspekt Unterrichtsstil bezieht sich auf Unterrichtsformen und -verfahren, auf methodische Maßnahmen und Anleitungen, die auf die verschiedenen Voraussetzungen und Bedürfnisse der Heranwachsenden mit und ohne Behinderung angepasst werden müssen.
Die Veränderung von Regeln können kooperative Lernsituationen unterstützen, z.B. kann die Einführung von Spielfeldzonen, in denen jeweils etwa gleichstarke Spieler*innen gegeneinander spielen, gemeinsame Spiele wie Fußball oder Basketball ermöglichen.
Anpassungen der Lernumwelt können sowohl bestehende bauliche Barrieren als in der jeweiligen Unterrichtssequenz vorhandenen mobilen Hindernisse betreffen, aber auch etwa Lichtverhältnisse und Akustik. Auch für Aktivitäten im Freien ist es unter Umständen notwendig, die Umgebung so zu gestalten, dass alle einen ähnlichen Bewegungsraum haben.
Schließlich kann durch die Auswahl des Materials eine innere Differenzierung erfolgen, z.B. durch die Wahl verschiedener Ausführungen eines Spielgeräts oder durch die Verwendung von für die jeweiligen Bewegungssituation eher unüblichen Materialien.
Gemeinsam spielen
Spiele sind eine besonders gute Möglichkeit, Integration und ein Klima der Wertschätzung zu schaffen. Für eine möglichst gleichberechtigte Teilhabe sind Spielveränderungen sinnvoll, z.B. nach den folgenden Prinzipien:
- Das Spielfeld in Zonen einteilen, in denen sich nur bestimmte Mitspielende beider Teams aufhalten dürfen.
- Alternative Formen des Fangens und Stoppens des Spielobjekts einführen.
- Verschiedenen Mitspielenden eines Teams unterschiedliche Spieltechniken zuordnen.
Mehrere Wurf-/Schussziele pro Team anbieten. - Wurf- und Schussziele nicht nur am Ende des Spielfeldes platzieren, sondern auf dem gesamten Spielfeld verteilen und die Ziele unterschiedlich gestalten (Größe, Platzierung, Höhe usw.)
- Verbotszonen für bestimmte Spielaktionen einführen und indirekte Spielaktionen vorgeben.
- Körperintensive Verteidigungshandlungen durch symbolische Verteidigungshandlungen ersetzen und Möglichkeiten individueller Bewegung mit dem Ball begrenzen.
(nach: MEIER/RUIN 2015, S. 44)
Praxisbeispiele
- Unfallkasse Hessen: Inklusion im Schulsport
- Unfallkasse NRW: Gemeinsames Lernen im Schulsport. Inklusion auf den Weg gebracht
- mobilesport.ch: Schweizer Plattform für Sportunterricht und Training – Inklusion im Sport in der Schule
* TREE-Modell nach: Australian Government/Australian Sports Commission: Adapting and Modifying Sport for People with Disability – Part One (PDF)
Teil 1 – Warum Bewegung wichtig ist für ein gesundes Heranwachsen
Teil 2 – Schule als bewegungsfreundliche Lebenswelt für Heranwachsende
Literatur:
BÄRTSCH, a./Boll, M. (2014): Inklusion im Sportunterricht. Konzeptumsetzung an zwei Schulklassen. (Masterarbeit an der Pädagogischen Hochschule Zürich)
GIESE, M./Weigelt, L. (Hg., 2015): Inklusiver Sportunterricht in Theorie und Praxis. Aachen: Meyer & Meyer Verlag.
MEIER, S./RUIN, S. (Hg.; 2015): Inklusion als Herausforderung, Aufgabe und Chance für den Schulsport. Berlin: Logos-Verlag
TIEMANN, H. (2012): Vielfalt im Sportunterricht – Herausforderung und Bereicherung. In: sportunterricht. Monatszeitschrift zur Wissenschaft und Praxis des Sports. Heft 6/2012. S. 168-172.