Psychische Gesundheit von Heranwachsenden und Beziehungsgestaltung in der Schule
Zwei relativ aktuelle Studien geben über die psychosoziale Gesundheit von österreichischen Kindern und Jugendlichen Auskunft: die HBSC-Studie (Health Behaviour in School-aged Children Study) und die MHAT-Studie (Mental Health in Austrian Teenagers Study). Laut diesen Untersuchungen erleben mehr als ein Viertel der Kinder und Jugendlichen Einschränkungen ihrer psychosozialen Gesundheit. Die häufigsten Belastungen sind Angststörungen, Aufmerksamkeitsstörungen, depressive Verstimmungen sowie Einschlafschwierigkeiten, Nervosität oder ein allgemein schlechter Gefühlszustand. Kinder und Jugendliche mit eingeschränkter psychosozialer Gesundheit sind mit ihrer Lebensqualität weniger zufrieden. Erhalten sie nicht die notwendige Unterstützung, besteht das Risiko, dass sich psychische Probleme und Erkrankungen verfestigen und bis ins Erwachsenenalter anhalten können.
Schule beeinflusst die psychosoziale Gesundheit
Psychosoziale Gesundheit wird von individuellen Merkmalen ebenso beeinflusst wie von sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und natürlichen Umweltfaktoren. Die Lebenswelt Schule ist ein bedeutsamer Einflussfaktor, der sich nachweislich auf die Gesundheit von Schülerinnen und Schülern auswirkt. Die PISA-Ergebnisse von 2015 (OECD, 2017) zeigen beispielsweise, dass es sowohl für das Wohlbefinden und die Lernleistungen von Kindern und Jugendlichen entscheidend ist, ob sie sich in der Schule akzeptiert, gerecht behandelt und unterstützt fühlen. Als Risikofaktoren gelten dagegen fehlende Wertschätzung, Schikanen oder Demütigungen durch Lehrkräfte oder Mitschülerinnen und Mitschüler.
Psychosoziale Gesundheitsförderung und Beziehungsgestaltung in der Schule
Die Förderung psychosozialer Gesundheit hängt eng mit dem eigentlichen Kerngeschäft der Schule, Bildung und Erziehung, und der Unterstützung der Schülerinnen und Schüler bei der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben zusammen. Erfolgversprechende Maßnahmen orientieren sich am „whole-school-approach“, beziehen also die gesamte Schule, alle Beteiligten und alle Aspekte des Schulalltags mit ein, und fokussieren u.a. auf:
- den erfolgreichen Umgang mit heterogenen Lerngruppen;
- den konstruktiven Umgang mit Konflikten und die Prävention von Gewalt;
- der Schaffung eines geordneten Unterrichts, der möglichst frei von unerwünschten Störungen ist;
- der Unterstützung von Schülerinnen und Schülern bei Lernproblemen;
- die Förderung von sozialen und Lebenskompetenzen;
- die Etablierung eines guten Schul- und Klassenklimas;
- den Aufbau partizipativer Strukturen.
In der Schule stehen viele Menschen miteinander in Beziehung: die Schülerinnen und Schüler, die Lehrpersonen, die Schulleitung, die Eltern und Erziehungsberechtigten und nichtunterrichtenden Personen wie z.B. die Schulärztin/der Schularzt. Ein Großteil dieser Beziehungen ist nicht freiwillig entstanden; Probleme im Umgang miteinander sind daher nichts Ungewöhnliches, können jedoch erfolgreiches Lehrern und Lernen behindern. Da Lehren und Lernen nicht nur auf der Sach-, sondern auch der Beziehungsebene stattfindet, ist die positive Gestaltung dieser Beziehungen wichtig für ein gutes Lern- und Arbeitsklima.
Respekt, Anerkennung, Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft und wertschätzender Umgang miteinander sind die Grundlagen guter Beziehungen. Fragt man Kinder und Jugendliche danach, was ihnen an der Beziehung zu ihrem Lehrer und zu ihrer Lehrerin wichtig ist, werden drei Aspekte genannt: Gerechtigkeit, pädagogische Fähigkeiten und persönliches Eingehen auf den Schüler, die Schülerin. Es ist gut belegt, dass stabile Beziehungen in der Schule einen positiven Einfluss auf das psychische und soziale Wohlbefinden von Schülerinnen/Schülern und Lehrpersonen haben. Sie geben Sicherheit und bieten Hilfe und Orientierung bei Problemen. Sie sind vor allem in Übergangszeiten (z.B. bei Schuleintritt, Schulwechsel, in der Pubertät) eine wichtige Ressource. Im Zusammenhang mit erfolgreichem Lehrern und Lernen sind gute Beziehungen u.a. bedeutend für:
- Motivation und Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler;
- positives Sozialverhalten und Soziales Lernen;
- ein gutes Klassen- und Schulklima;
- eine Verringerung von Schulangst, Schulabbruch und -absentismus;
- eine hohe Identifikation und ein hohes Engagement von Lehrpersonen, Kindern, Jugendlichen und Eltern mit der Schule;
- die Verminderung von Konflikten und Disziplinproblemen;
- die Arbeitszufriedenheit der Lehrpersonen und der Schulleitung.
Wo ansetzen?
Schulgemeinschaften können auf vielfältige Weise zu einer guten Beziehungsgestaltung beitragen. Dabei ist es sinnvoll, auf mehreren Handlungsebenen anzusetzen. Maßnahmen sollten langfristig angelegt werden, um nachhaltige Wirkung zu erzielen, und möglichst viele Lehrerinnen und Lehrer sollten aktiv darin mitarbeiten oder das Thema unterstützen. Zu den wichtigsten Ansatzpunkten auf Ebene der Organisation und der Strukturen zählen:
Schulleitung
Bei der Beziehungsgestaltung spielt die Schulleitung naturgemäß eine wichtige Rolle. Sie schafft die Basis für ein Schulklima, das Sicherheit gibt, Toleranz und Respekt fördert. Ihre eigene Haltung und ihre Vorbildwirkung sind dabei ein wesentlicher Einflussfaktor. Darüber hinaus ist es zielführend, wenn Schulleitungen beispielsweise in die Stabilität des Lehrkörpers investieren, eine Willkommenskultur für neue Schülerinnen, Schüler und Lehrerpersonen etablieren und einen motivierenden Führungsstil pflegen.
Klassengemeinschaft und Klassenführung
Wie Lehrerinnen und Lehrer ihren Unterricht gestalten, hat großen Einfluss darauf, ob Kinder und Jugendliche gerne in die Schule gehen oder gar Angst vor der Schule empfinden. Kooperative Lernformen, eine Unterrichtsstruktur mit klaren Botschaften, was der Lehrer/die Lehrerin von den Schülerinnen und Schülern erwartet und eine angemessene Leistungserwartung sind Beispiele einer beziehungsfreundlichen und gesundheitsförderlichen Unterrichtsgestaltung. Dazu zählen auch eine positive Fehler- und Feedbackkultur und Unterstützung für Schülerinnen und Schüler beim Lernen.
Zusammenarbeit mit Eltern
Eltern haben eine andere Sichtweise darauf, was in Schulen geschieht. Es gehört zu den Aufgaben der Lehrkräfte, sich um den Aufbau von vertrauensvollen und von gegenseitigem Respekt geprägten Beziehungen zu bemühen. Gute Beziehungen können entstehen, wenn es gelingt, Eltern das Gefühl zu geben, an der Schule willkommen zu sein. Ein wesentlicher Punkt ist dabei eine funktionierende Informationsweitergabe und Möglichkeiten rasch und unkompliziert mit der Schule in Kontakt zu treten.
Partizipative Strukturen
Die Lebenswelt Schule bietet verschiedene Möglichkeiten, Schülerinnen und Schüler in Entscheidungen einzubinden, ihnen Mitspracherecht zu geben und sie tatsächlich mitentscheiden und mitgestalten zu lassen. Für Schülerinnen und Schüler ist es wichtig, dass sie das Gefühl haben, ihr Lehrer/ihre Lehrerin schätzt ihre Meinung und nimmt sie ernst. Beispiele für partizipative Strukturen sind Beteiligungsmöglichkeiten bei der Unterrichtsgestaltung, die Planung und Mitgestaltung von schulbezogenen Festen oder das Einrichten eines Klassenrates.
Mehr zum Thema:
GIVE (2018): Gute Beziehungen in der Schule. Beziehungsgestaltung, psychosoziale Gesundheit und Lernerfolg. Format A4, 48 Seiten.
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